Beweislastumkehr im Verbrauchsgüterkauf ausgedehnt

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem Urteil vom 12.10.2016, Az. VIII ZR 103/15, die Haftung des Verkäufers für Mängel, die sich in den ersten 6 Monaten nach Gefahrenübergang zeigen, deutlich verschärft.

Grundlage der Beweislastumkehr ist § 476 BGB. Hiernach wird zugunsten des Verbrauchers vermutet, dass ein Mangel, der sich in den ersten 6 Monaten nach Gefahrenübergang (regelmäßig ist das der Zeitpunkt der Übergabe der Ware an den Verbraucher) zeigt, ein anfänglicher Mangel ist. Folge sind dann gewährleistungsrechtliche Ansprüche.

Die Reichweite dieser Beweislastumkehr wurde nun deutlich erweitert.

Bisher galt: Der Verbraucher muss beweisen, dass sich binnen 6 Monaten nach Gefahrenübergang ein Mangel der Ware gezeigt hat (so z.B. noch in den Urteilen des BGH vom 23. November 2005 VIII ZR 43/05 [Turboladerschaden], vom 18. Juli 2007 – VIII ZR 259/06 [defekte Zylinderkopfdichtung]). Zweifel, ob der Fehler statt auf einen Mangel auf fehlerhaften Gebrauch zurückzuführen ist, gingen zulasten des Verbrauchers. Wenn also mehrere Ursachen für den akut aufgetretenen Mangel in Betracht kamen, von denen nur die eine eine vertragswidrige Beschaffenheit begründet, die andere dagegen nicht, so ging diese Ungewissheit zu Lasten des Verbrauchers (so zuletzt noch der BGH in seinem Urteil vom 15. Januar 2014 – VIII ZR 70/13). Nur wenn alle möglichen Ursachen eine vertragswidrige Beschaffenheit darstellen würden, wäre davon auszugehen, dass der betreffende Mangel bereits bei Gefahrübergang bestanden hätte.

Aufgrund einer Entscheidung des EuGH vom 4. Juni 2015 (C-497/13 – Faber) sieht sich der BGH nun zu einer Änderung der Rechtsprechung veranlasst. Der Europäische Gerichtshof habe die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Verbrauchers bezüglich des für das Eingreifen der Vermutung des Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf, auf den die Vorschrift des § 476 BGB zurückgeht, erforderlichen Auftretens einer Vertragswidrigkeit binnen sechs Monaten ab Lieferung deutlich herabgesetzt. Art. 5 Abs. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie sehe in Fällen, in denen die Vertragswidrigkeit binnen sechs Monaten nach der Lieferung des Guts offenbar wird, eine Vermutung dahin vor, dass die Vertragswidrigkeit schon zum Zeitpunkt der Lieferung bestand ( EuGH, Urteil vom 4. Juni 2015 – C-497/13 , Rn. 53, 67 f. – Faber). Der EuGH lege dem Verbraucher zwar auf, vorzutragen und nachzuweisen, dass das verkaufte Gut nicht vertragsgemäß ist, weil es etwa nicht die im Kaufvertrag vereinbarten Eigenschaften aufweist oder sich nicht für den Gebrauch eignet, der von einem derartigen Gut gewöhnlich erwartet wird. Jedoch verlange der EuGH vom Käufer nur den Nachweis einer Vertragswidrigkeit. Der Käufer müsse – anders als dies der bisherigen Sichtweise des BGH zu § 476 BGB entspricht – weder den Grund für die Vertragswidrigkeit noch den Umstand beweisen, dass sie dem Verkäufer zuzurechnen sei. Das Auftreten der Vertragswidrigkeit in dem kurzen Zeitraum von sechs Monaten „erlaube“ nach Auffassung des Gerichtshofs die Vermutung, dass sie zum Zeitpunkt der Lieferung „zumindest im Ansatz“ bereits vorgelegen habe, auch wenn sie erst nach der Lieferung des Guts offenbar geworden sei (EuGH, Urteil vom 4. Juni 2015 – C-497/13, Rn. 72 – Faber).

Eine richtlinienkonforme Auslegung des § 476 BGB sei daher nach Auffassung des BGH in der Weise geboten, dass die dort geregelte Vermutung auch dann einsetze, wenn offen bleibt, ob der eingetretene mangelhafte Zustand auf einer dem Verkäufer zuzurechnenden Ursache oder auf einem sonstigen Grund beruht. Bei Auftreten eines akuten mangelhaften Zustands müsse daher vermutet werden, dieser habe in einem früheren Entwicklungsstadium schon bei Gefahrübergang vorgelegen.

Der Verkäufer hat somit zukünftig immer dann, wenn sich ein Mangel binnen 6 Monaten nach Gefahrenübergang zeigt, den Beweis zu erbringen, dass nicht schon zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs ein in der Entstehung begriffener Sachmangel vorgelegen habe. Er hat also darzulegen und nachzuweisen, dass ein Sachmangel zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs noch nicht vorhanden war, weil der Mangel seinen Ursprung in einem Handeln oder Unterlassen nach diesem Zeitpunkt hat und der Mangel dem Verkäufer damit nicht zuzurechnen ist.

Dies bedeutet für den Verkäufer, also regelmäßig den Händler, eine deutliche Verschärfung der Haftung.