Manipulation von Abgaswerten bei Kfz-Herstellern aus rechtlicher Sicht
Diverse Kfz-Hersteller haben systematisch, wohl vor allem softwaregestützt, Abgaswerte bei Messungen manipuliert hat. Die Software stammt mindestens in den Grundzügen von Zulieferern, z.B. von der Fa. Bosch. Die Software ist oft von diesen Zulieferern nur für eine Nutzung zu Testzwecken erlaubt und freigegeben worden, wird aber zur „Optimierung“ der Messergebnisse im Regelbetrieb von einzelnen Herstellern quasi zweckentfremdet.
Folge ist, dass nun massenhaft Fahrzeuge unterwegs sind, bei denen:
- eine Software im Einsatz ist, die für diesen Zweck nicht gedacht und auch nicht vom Softwarelieferanten zugelassen ist
- die Fahrzeuge durch die Manipulation der Abgaswerte eine Abweichung zwischen Typgenehmigung und tatsächlichem Zustand des Fahrzeugs aufweisen
- die Fahrzeuge nun eine starke Rufschädigung und dadurch Wertminderung erlitten haben.
Rechtliche Grundlagen
Durch die Manipulationen sind bisher keine Schadensfälle entstanden. Daher sind die Fragen nicht produkthaftungsrechtlich relevant.
Allerdings gibt es eine Abweichung der tatsächlichen Beschaffenheit von der Sollbeschaffenheit. Die Fahrzeuge weisen nicht die Beschaffenheit auf, die vertraglich geschuldet ist. Die falschen Abgaswerte können dann einen Sachmangel darstellen und Ansprüche nach dem Sachmangelrecht (früher: Gewährleistungsrecht) nach sich ziehen. Da die Betriebsgenehmigung in Gefahr ist – das Kraftfahrtbundesamt ist eingeschaltet – liegt u.U. auch ein Rechtsmangel vor: Denn ein Fahrzeug dieser Art mit diesen Abgaswerten ist ggf. nicht von der Typgenehmigung erfasst; das Fahrzeug hat dann keine Typgenehmigung und ist also nicht ohne Einzelzulassung zulassungsfähig.
Voraussetzung von Ansprüchen aus Sach- oder Rechtsmangel ist, dass die tatsächliche Beschaffenheit eines Produktes von der vertraglich geschuldeten Beschaffenheit negativ abweicht.
Die vereinbarte, also die sogenannte Soll-Beschaffenheit, wird einerseits definiert durch die Produktbeschreibungen, Datenblätter usw. Darüber hinaus ist bei Kraftfahrzeugen maßgeblich auch die Typgenehmigung.
Derzeit wird nach wie vor diskutiert, ob die Typgenehmigung zu entziehen ist. Die Fahrzeuge mit der betroffenen Technologie dürften in einem solchen Fall nicht mehr bewegt werden. Dies wäre ein Rechtsmangel.
Darüber hinaus hat das Fahrzeug andere Eigenschaften als geschuldet. Es hat andere Abgaswerte, gegebenenfalls auch andere Verbrauchswerte als angekündigt und vorausgesetzt. Dies ist ein Sachmangel.
Noch nicht diskutiert ist die Frage, ob sich durch geänderte Abgaswerte die Einstufung bei der Kraftfahrzeugsteuer ändert. Auch dies wäre eine negative Abweichung der Istbeschaffenheit von der Sollbeschaffenheit und rechtlich relevant. Denn die Beschreibung sähe eine andere Einstufung vor, als dann tatsächlich erfolgt.
Sach- und Rechtsmängel berechtigen in erster Linie zur Nacherfüllung. Unter Nacherfüllung versteht man Reparatur oder Ersatzlieferung. Nach dem Gesetz hat der Kunde das Wahlrecht. Durch Allgemeine Geschäftsbedingungen wird häufig das Wahlrecht auf den Verkäufer übertragen, wobei die Wirksamkeit solcher Regelungen im Geschäftsverkehr mit Verbrauchern umstritten ist. Im günstigsten Fall hat also der betroffene Verbraucher das Wahlrecht, ob er Ersatzlieferung oder Nachbesserung fordert.
Scheitert die Nacherfüllung zweimal, so besteht ein Recht auf Rückgabe des Fahrzeugs oder Minderung.
Neben diesen Ansprüchen bestehen dem Grunde nach auch Ansprüche auf Schadensersatz und Aufwendungsersatz.
Einzelne Gerichte haben sich bereits mit diesen Fragen befasst und z.T. einen Mangel verneint – unseres Erachtens zu Unrecht. Denn es liegt wohl unzweifelhaft eine negative Abweichung von den geschuldeten Eigenschaften vor. Auf eine – hier wohl ebenfalls vorliegende – Erheblichkeit kommt es nicht an. Daher sollten Ansprüche bestehen, zumal am Markt Wertminderungen messbar sind.
Alle diesbezüglichen Ansprüche richten sich in erster Linie gegen den jeweiligen Verkäufer, der dann wiederum Regress bei dem Kfz-Hersteller nehmen kann. Im Hinblick auf die Vertriebssituation mit Vertragshändlern wird sich ein Kunde an seinen Verkäufer wenden müssen, der dann wiederum die Sache seinerseits mit der Rechtsabteilung der Herstellers abwickelt.
Neben den Ansprüchen aus Sachmangelhaftung könnte man an eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung denken. Das Problem dabei: Der Händler, mit dem der Vertrag geschlossen wurde, wusste oft nicht von der Thematik. Hier kann gegebenenfalls durch die Vertriebskette ein Durchsetzungsproblem entstehen.
Folgerungen für die Situation bei Abgasmanipulationen
a) Typgenehmigung
Wird die Typgenehmigung entzogen und nicht mehr im Nachgang hergestellt, so wird eine Nacherfüllung faktisch nicht möglich sein und damit von vornherein als „endgültig gescheitert“ gelten. In diesem Fall hat der Kunde direkt – nach seiner Wahl – Anspruch auf Rückgabe des Fahrzeugs gegen Erstattung des gezahlten Kaufpreises. Der Kaufpreis ist mit 5 % p.a. sei Zahlung zu verzinsen. Gegen gerechnet werden kann allerdings die Nutzung, wobei pro 1000 gefahrene Kilometer etwa 0,3-0,7 % des Kaufpreises in Abzug gebracht werden dürfen.
Ist es dem Hersteller möglich, die Typgenehmigung – in modifizierter Form – zu erhalten, so wird dieser Mangel zwar beseitigt, während einer eventuellen Wartezeit zwischen dem Stichtag 7. Oktober 2015 und dem Erhalt der neuen Typgenehmigung ist das Fahrzeug allerdings nicht auf deutschen Straßen zugelassen. Das Fahrzeug darf nicht mehr auf öffentlichen Straßen bewegt werden. Für diese Ausfallzeit besteht dann ein Schadensersatzanspruch in Höhe der tatsächlichen oder fiktiven angemessenen Mietwagenkosten.
b) Erhöhte Abgaswerte
In der Kommunikation nach außen sagt z.B. VW derzeit zu, die fehlerhafte Software zu bereinigen. Wenn hierdurch die eigentlich geschuldeten Abgaswerte erreicht werden, ist dies eine erfolgreiche Nachbesserung. Dann sind lediglich die Aufwendungen für die Vorstellung des Fahrzeugs zur Reparatur als Schadensersatz denkbar.
Ist eine solche Reparatur allerdings nicht möglich, da beispielsweise die Abgaswerte bleibend zu hoch sind und die Werte nach Änderung der Software auch nicht eine zu akzeptierende gewisse Toleranz einhalten (hier dürften etwa 10 % angemessen sein), so könnte auch insofern die Nacherfüllung endgültig fehlschlagen. Dann stünden wieder die Rechte auf Rücktritt vom Vertrag oder Minderung zu.
c) Kfz-Steuer
Sollte die Einordnung hinsichtlich der Kfz-Steuer betroffen sein, so wäre mindestens die Differenz zu tragen.
d) Weitergehende Schadensersatzansprüche?
Durch die Berichterstattung und die Manipulationen hat sich der Wert der Fahrzeuge dramatisch verändert. Es bestehen durchaus Aussichten, dass man diese Wertminderung im Falle des Verkaufs eines Fahrzeugs als Schadensersatz geltend machen könnte.
e) Rechtliche Probleme
Problematisch ist, dass die Ansprüche sich sämtlich nach Gewährleistungsrecht/Sachmangelrecht richten.
Hier gelten kurze Fristen. Grundsätzlich sind Sachmängel (und im Wesentlichen auch die Folgeansprüche, wie zum Beispiel Schadensersatz) nur binnen 2 Jahren nach Gefahrenübergang möglich. Besitzer älterer Fahrzeuge könnten von vornherein von Schadensersatzansprüchen ausgeschlossen sein.
Hinzu kommt, dass Ansprüche grundsätzlich binnen dieser zwei Jahre gerichtlich geltend gemacht werden müssen. Ausnahmen können nur bestehen bei sog. arglistiger Täuschung. Viele Gerichte befassen sich gerade in diesen Tagen mit dieser Frage und kommen zu z.T. diametral entgegengesetzten Einschätzungen. Eine einheitliche Sicht wird erst nach und nach mühsam durch den Bundesgerichtshof (BGH) hergestellt werden können.
f) Notanker: Anfechtung wegen arglistiger Täuschung
Als Notanker könnte für alle länger zurückliegenden Verkäufe versucht werden, eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ins Feld zu führen. Eine solche Anfechtung kann binnen zehn Jahren nach Abschluss des Kaufvertrages erklärt werden, wobei man maximal ein Jahr nach Kenntnis des Umstandes der arglistigen Täuschung warten darf. Das bedeutet: Man könnte bis Anfang September 2016 versuchen, eine solche Anfechtung des Kaufvertrages – mit der Folge der Rückgabe des Fahrzeuges gegen Erstattung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsvorteile – zu erklären und gegebenenfalls auch gerichtlich durchzusetzen. Hierbei muss die Klage noch nicht eingereicht sein, sondern es genügt für die Fristwahrung die reine Erklärung.
Problematisch ist, dass die Anfechtung gegenüber dem direkten Vertragspartner abzugeben ist. Das ist der Händler. Der wird selten von der Manipulation gewusst haben.
Man könnte dann höchstens überlegen, dass man sich als Kunde die Ansprüche des Händlers gegen VW abtreten lässt und so die rechtlichen Probleme der Vertragskette zu beseitigen versucht.
Zusammenfassung
Es ist unstreitig, dass die Fahrzeuge einen rechtlichen Mangel ebenso wie einen Sachmangel aufweisen. Die Rechtsdurchsetzung kann dennoch – gerade auch für Besitzer von Fahrzeugen, die älter als zwei Jahre sind – schwer werden.
Sollte sich der Kfz-Hersteller wider Erwarten mit dem Kraftfahrtbundesamt nicht über eine Modifizierung und Aufrechterhaltung der Typgenehmigung einigen, wären allerdings durchaus in erleichterter Form Ansprüche auf Rückgabe der Fahrzeuge und gegebenenfalls weitergehenden Schadensersatz durchzusetzen.
Letztlich sollte man abwarten, ob sich der Kfz-Hersteller mit dem Kraftfahrtbundesamt über den Umgang mit der Typgenehmigung einigt. Ist dies nicht der Fall, ist mit einer Klagewelle zu rechnen.